Adorno sah in den Filmen (dies bezog sich allerdings auf das deutsche Kino 1966) ganz allgemein nichts als unerfüllte Erwartungen, denn „wie die Schlager sind sie die Reklame ihrer selbst, tragen den Warencharakter als Kainszeichen auf der Stirn. Jeder kommerzielle Film ist eigentlich nur die Vorschau auf das, was er verspricht und worum er zugleich betrügt.“
Der Artikel (LINK zum kompletten Artikel) von 1966 ist aber dennoch immer wieder lesenswert, und hingegen der Erwartung Vieler, auch unterhaltsam.
Diese kritische Momentaufnahme des Philosophen, der sich vehement für eine Weitung der künstlerischen Ausdrucks aussprach, ja, dies medienunabhängig und als geistiges Konzept begriff, sah in der damaligen Filmindustrie alles andere als eine hoffnungsvolle Perspektive dahingehend. Dass zahlreiche Filmtheoretiker seinen Text „Der Essay als Form“ später immer wieder als Referenz für die so unstetige jedoch unbestrittene Essayfilm-Bewegung gelten wird, hätte er sich bestimmt träumen wagen. Anfängliche filmexplorische Ansätze der Brüder Lumière oder auch Walter Ruttmanns „Berlin: Sinfonie der Großstadt“von 1927 skizzierten sicher schon ein essayistische Formen vor, die sodann Filmemacher wie Sergei Eisenstein, Hans Richter, Orson Welles, Pier Paolo Pasolini, Johan van der Keucken, Peter Krieg, Harmut Bitomsky, Alexander Kluge und auch Harun Farocki weiterführten. Gemeinsam ist allen diesen Filmemachern, so Thomas Tode (Der Essayfilm, siehe Publikationsliste)[…] „dass sie sich für Fragen der Theorie interessieren, zumeist selbst über Film schreiben und nicht zuletzt sozialen Bewegungen stark verbunden sind.“ So verfasste Hans Richter 1940 bereits als eines der frühsten Zeugnisse hierfür einen Artikel unter der Überschrift „Der Essayfilm. Eine neue Form des Dokumentarfilms“, publiziert in der Baseler Zeitung (siehe dazu den Artikel von Winfried Pauleit in: Film als Theorie: Der Essayfilm als doing-image-text. LINK, abberufen am 26.2.2017).
Abb: Still aus JLG/JLG (1994)
Doch Adorno war auch anderen Filmformaten gegenüber skeptisch eingestellt, wenn er sie auch nicht völlig ignorierte. Interessant ist der Umstand, dass Alexander Kluge mit „Abschied von gestern“ ebenfalls 1966 einen Film liefert, den Kluge selbst und auch die Presse später als Essayfilm betrachten wird. Kluge war bekanntlich im Umfeld Adornos sehr präsent. In einem Interview mit dem Berliner Tagesspiegel am 11.09.2003 (LINK) äußert er sich wie folgt:
Adorno hielt von Film und Kino gar nichts. Er hat aber den Autorenfilm, vor allem den französischen, respektiert. Es hat ihn gewundert, dass so etwas in der Filmwirtschaft überhaupt möglich ist. Godards „Außer Atem“ fand er leichtsinnig, aber interessant. Etwas zu protestantisch für seinen Geschmack, aber sehr entschieden und radikal in der ästhetischen Dimension, in der Montage. Es hat ihn interessiert, inwiefern die Montage bei Eisenstein rhetorischer Natur ist und wie im Gegensatz dazu Godards Montage aus der Sache kommt, aus der Unvereinbarkeit zweier Einstellungen. Es ist das dritte Bild, das Bild zwischen zwei aneinander montieren Bildern, das man nicht sieht und das den Film in Bewegung hält. Das ist typisch Adorno, der Gedanke, dass es gar keine Bilder gibt und dass nur das unsichtbare Bild zählt. Wir haben am Institut für Filmgestaltung einen neunstündigen Film über die Studentenbewegung in Frankfurt gemacht. Adorno sagte uns, man muss blind filmen. Wenn Sie ohne Absicht etwas aufnehmen, werden Sie immer etwas aufspüren. Was das ist, werden Sie erst hinterher sehen. Der absichtslos aufgenommene Film ist klüger als das, was Sie als Absichten haben können. So denkt Adorno
Nur die wenigsten Filmemacher werden sich mit diesem Abschusssatz identifizieren können. Gerade der Filmessay stellt eine sorgsam gewählte höchst-subjektive und auch arrangierte Arbeit dar, die natürlich bestimmten Absichten folgt. Vielleicht ist Adornos Haltung aber auch als Antrieb nutzbar sich immer wieder bewusst zu werden, welch Beziehungsgeflecht Film eigentlich bedeutet, und das die Beherrschung dieser Kulturtechnik eine Lebensaufgabe bedeuten muss.
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