Laura Rascaroli, Autorin des 2017 erschienenen Buchs „How the essay film thinks„, veröffentliche 2004 einen überaus denkenswerten Artikel. Der Beitrag „Performance in and of the Essay film: Jean-Luc Godard plays Jean-Luc Godard in Notre musique“.
Performative Aktionen in Dokumentarfilmen, sind ein tatsächlich wenig beachtetes Forschungssujet. In Zeiten der selbstverständlichen Hybridisierung von Fiktion und Dokumentaion, ist eine Neubetrachtung vielleicht nicht abwegig, selbst wenn der Artikel aus 2009 stammt. Die Autorin argumentiert mit dem Kritiker Thomas Waugh (Waugh, T. (1990), ‘“Acting to Play Onself”: Notes on Performance in Documentaries’, in C. Zucker (ed.), Making Visible the Invisible: An Anthology of Original Essays on Film Acting, Metuchen, N.J. & London: The Scarecrow Press), indem der originär gegensätzliche Charakter von Fiktion und Dokumentation womöglich ein Verständnisproblem darstellen könnte, wonach in einer Dokumentation kaum etwas konzeptuell Angelegtes, ja, Inszeniertes, wie eine Performance, Platz fände. Zumal der Essayfilm ja überdies zwischen Fiktion und Dokumentation sorgenfrei hin und her changiert.
Innerhalb eines Films, differenziert Waugh zwischen zwei Arten von Performance: Die ‘representational performance’, in welcher der Dokumentarfilm, die Codes der narrativem Illusion und Natürlichkeit „ausleiht“. Ist dagegen das Bewusstsein der Kamera gespielt, spricht Waugh von einer ‘presentational performance’.1
Neben einer späteren Herleitung, welche die Rolle Godards in „Notre musique“ eigentlich zu bestimmen versucht, und zudem, welcher Natur diese Selbst-Generierung als Regisseur sein könnte, scheut sich Rascalori nicht, den Großmeister als Essayisten and Schauspieler zu bezeichnen. Godard beschenkt sich immer wieder in seinen Filmen selbst mit Auftritten – ihn aber (nun doch mal) deutlich als Essayisten zu benennen, ist in der Filmwissenschaft nicht unerheblich problematisch. Schließlich ist Godard unterm Strich ein Kinofilmemacher – einer, der die cinematischen Konventionen erfüllt, wenn er sie auch immer wieder ausreizt. Aber darin liegt ja womöglich auch der verhandelte Inhalt in vielen Werken Godards. Diese Freiheit musste er sich über viele Jahre erst einmal erspielen. Anhand der Anzahl der verkauften Eintrittskarten seiner Filme heutzutage, lässt sich sicher nichts ablesen. Wie tief sein Fußabdruck in der Film- und auch Kunstwelt ist, lassen zahllose Preise erahnen, vor allen Dingen FilmemacherINNEN, deren Werk ganz klar von Godard gebrandmarkt ist. in der Regel erscheint Godard nicht, um die Ehrungen persönlich entgegenzunehmen. Er ist zweifelsohne ein Mythos, ein Filmemacher, dessen Person ebenso verehrt wird wie das Werk, welches er kreiert hat.
Hier liegt zweifelsohne eine Gemeinsamkeit mit Chris Marker vor, dessen Person seit jeher ebenso Verehrung fand wie sein Werk. Kritik, sofern es sie gab, setzte sich nie durch. Beide stehen für etwas, dass schwer zu begreifen ist. Wo Chris Marker weitaus mehr als rastloser Philosoph wirkt, mit einem grenzenlosen Erzählschwall gesegnet, und dessen Natur von seinen ZuschauernINNEN niemals als ausufernd bezeichnet werden würde, wird Godard vielerorts noch immer als Bildbeschwichtiger betrachtet, der bewusst seine Audienz einer gewissen Überforderung aussetzt. Marker, der wohl bescheidenste Filmemacher überhaupt, ersetzt sich selbst durch eine Katze, und lässt diese performativ durch den Filmraum tapsen. Wäre die Tiefe seiner Worte nicht derart unbestritten, würde man manch kitschigen Katzenakt anders betrachten. Bei Godard ist seine Person in vielen seiner Werke zentral, präziser, die Wirkungsstätte der ausgesandten Gedanken innerhalb der Filme. Sie sind immer wieder unverständlich, unverdaulich und ganz klar bewusst angesetzt, um Sperren und Barrikaden für die Narration bereitzustellen, die Godard sowieso nicht mehr anzubieten gewillt ist. Sei`s drum
1
Rascaroli, L. (2008), ‘The Essay Film: Problems, Definitions, Textual Commitments’, Framework, 49:2, pp. 24–47.
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