Dreh bei Gerd Roscher

Ich bin neu in der Hamburger Schule (Dirk von Lotzow).

2003 befinde ich mich an der HfBK Hamburg, trete durch die schwere Holztüre ein und somit erstmalig in die Welt der Kunstakademien. Die StudentINNen erscheinen mir desinteressiert, das Klima anonym. In den Fotografieplenen regen sich die meisten unter ihnen auf, aber

keiner weiß mehr (R. D. Brinkmann).

Es will mir nicht ganz gelingen mich hier wohlzufühlen. Donnerstag 10 Uhr besuche ich die erste Filmseminar-Veranstaltung „Experimenteller Film“. Das Gebäude in der Averhoffstraße ist 10 Minuten zu Fuß vom Hauptgebäude entfernt. Alles ist ruhiger, unaufgeregter, die große Eiche auf dem Hof spendet Schatten. Der Seminarraum ist eine Art Kinosaal. Als es losgeht, sprechen wir nur über etwas, das da ist, und nicht darüber, was nicht zu sein hat. Ein Student zeigt eine Skizze, Videosequenzen, kommentiert es nicht. Niemand sagt etwas, das Bild ist seit einigen Minuten schwarz: kollektives Sinnieren für sich. Der Professor, Gerd Roscher, lehnt sich zufrieden zurück und öffnet gestisch wie symbolisch den Raum für Anregungen. Abends – der Veranstaltungsschluss ist längst düpiert – verabschieden wir uns. Die Diskussion verlief konstruktiv, sachlich, niemand hatte Angst etwas zu zeigen oder zu sagen. Konzepte wurden über den Kopf gedacht, aber durch den Filter des Geistes gejagt, und sensitive Kollisionen zwischen Anspruch und Realisationen waren gern gesehen. Ich gehe zufrieden nach Hause.

15 Jahre später spreche ich mit Gerd Roscher über viele Dinge. Es geht um zeitgenössische Tendenzen, (film-)historische Detailversessenheit aus erster Hand, es geht um Gesetztes und Revidiertes. 50 Jahre nach den 68ern, verläuft die Protestbewegung beim einstigen Adorno und Horkheimer-Student noch immer durch dessen Mark. Es ist keine Verbitterung der vielleicht verblichenen Utopien zu sehen, wie ich bei unserer letzten Begegnung 2005 ein wenig vermutete – stattdessen ein neu entfachter Elan, gekreuzt mit einer tiefen Zufriedenheit und Zuversicht. Der Filmphilosoph erzählt mir von seinem neuen Filmprojekt, und als ich abfahre stelle ich fest, dass auch zwei Wochen nicht ausgereicht hätten um das Gefühl zu beseitigen, man hätte mehr Zeit benötigt.

 

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